AG Schöneberg: Mieter erhalten Recht auf Mietminderung wegen Bauarbeiten
In einem aktuellen Fall hat das Amtsgericht Schöneberg den Mietern einer Wohnung eine Mietminderung aufgrund umfangreicher Bauarbeiten zugestanden. Die Bauarbeiten beeinträchtigten die Wohnqualität erheblich und führten zu einer Minderung der vereinbarten Miete um 30%.
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Übersicht
Recht auf Mietminderung zugesprochen
Das Amtsgericht Schöneberg hat entschieden, dass die Mieter einer Wohnung, die durch umfangreiche Bauarbeiten beeinträchtigt wurden, Anspruch auf eine Mietminderung haben. Im konkreten Fall waren die Bauarbeiten so gravierend, dass die Wohnqualität erheblich eingeschränkt war und die Mieter eine Minderung der vereinbarten Miete um 30% geltend machen konnten.
Umfassende Bauarbeiten als Grund für Mietminderung
Die Bauarbeiten umfassten unter anderem die Einrüstung des Gebäudes, das Verkleben von Fenstern mit einer Milchfolie sowie die Entstehung von Wasserflecken und Putzschäden in der Wohnung der Kläger. Die Beklagte hatte die Bauarbeiten veranlasst, ohne für ausreichende Abhilfe der entstandenen Mängel zu sorgen.
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Das vorliegende Urteil
AG Schöneberg – Az.: 17 C 96/21 – Urteil vom 08.02.2022
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 2.427,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.12.2021 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Kläger berechtigt sind, ab dem 01.12.2021 für die im Zuge der Dachgeschossesbauarbeiten (12%), der Einrüstung der Fassade und der verklebten Fenster mit einer Milchfolie (10%) sowie des Wasserflecks im Deckenbereich des ersten Zimmers rechts und der Putzschäden im Bereich des Hängebodens der Wohnung (8%) den vertraglich vereinbarten Mietzins bis zur jeweiligen Behebung dieser Mängel um die angegebene Quote, insgesamt 30% zu mindern. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf bis 16.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Kläger sind seit 1977 Mieter einer Vierzimmerwohnung im 4. OG des Hauses L. Straße…B.. Die aktuelle Bruttokaltmiete beträgt 809,00 €. Die Beklagte ist als Alleineigentümerin in das Mietverhältnis eingetreten.
Mit Schreiben vom 02.11.2020 (Bl. 15 d.A.) kündigte die Beklagte gegenüber den Klägern umfangreiche Sanierungs- und Instandsetzungsarbeiten in dem Wohnhaus an. Hierzu ließ sie im Januar 2021 das Wohnhaus einrüsten und die Fenster mit Folien verkleben. Ferner begann sie im Dezember 2020 mit dem Ausbau des zuvor unbewohnten und nicht zu Wohnzwecken genutzten Dachgeschosses. Durch die hierfür genutzten Gerätschaften kam es u.a. zu lauten Klopf- und Schlaggeräuschen in der Wohnung der Kläger, welche sich unmittelbar unter dem Dachgeschoss befindet. Auf das von den Klägern eingereichte Lärmprotokoll für den Zeitraum bis einschließlich November 2021 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen (Bl. 127ff. d.A.).
Die Kläger informierten die zuständige Hausverwaltung mehrfach, erstmals im Februar 2021, über in ihrer Wohnung an den Decken entstandene Risse und Putzschäden und machten einen Minderungsanspruch geltend. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.02.2021 (Bl. 29 d.A.) kündigten sie an, die Miete nur noch unter Vorbehalt zu zahlen. Die Beklagte ließ durch ihren Bauleiter die angezeigten Mängel in der Wohnung erfassen, ohne weitere Abhilfe zu schaffen. Auf die eingereichten Fotos zur Einrüstung, dem Dachbodenausbau und den Rissen wird Bezug genommen (Bl. 18ff., 126 d.A.).
Die Kläger behaupten, durch die am Mauerwerk ausgeführten Arbeiten seien Schwingungen und Vibrationen entstanden, die zu den beanstandeten Rissbildungen in ihrer Wohnung geführt hätten. Wegen der Beeinträchtigungen halten sie eine Minderung von insgesamt 30% ab Februar 2021 für angemessen.
Mit der am 27.08.2021 zugestellten Klage verfolgen die Kläger ihren Instandsetzungs- und Minderungsanspruch weiter. Das Gericht hat am 11.01.2021 ein Teilurteil hinsichtlich des Instandsetzungsanspruchs (Klageantrag zu 1.) erlassen und mit Zustimmung der Parteien wegen der Minderungsansprüche das schriftliche Verfahren angeordnet.
Der Kläger haben ihren diesbezüglichen Klageantrag abgeändert und beantragen mit dem am 06.12.2021 zugestellten Schriftsatz nunmehr wörtlich noch,
2a). die Beklagte zu verurteilen, an sie als Mitgläubiger 2.427,00 € nebst 5% Zinsen oberhalb des Basiszinssatzes der EZB seit Zustellung der Klageänderung zu zahlen,
2b). festzustellen, dass sie berechtigt sind, ab dem 01.12.2021 für die im Zuge der Dachgeschossesbauarbeiten und der Einrüstung der Fassade und der verklebten Fenster mit einer Milchfolie sowie der im Antrag zu 1. a) geschilderten Mängel in der Wohnung den vertraglich vereinbarten Mietzins bis zur Behebung dieser Mängel um 30% zu mindern.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist auch hinsichtlich der geltend gemachten Minderungsansprüche begründet. Das erforderliche besondere Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) ist gegeben. Das Feststellungsinteresse der Kläger richtet sich darauf, dass zwischen den Parteien die Minderung der Miete rechtsverbindlich festgestellt werde, weil dies einerseits im Hinblick auf künftige Mietzahlungen und andererseits – auch soweit zurückliegende Mietzeiträume betroffen sind – als Vorfrage im Fall einer etwaigen Zahlungsverzugskündigung von Bedeutung ist. Diese rechtsverbindliche Feststellung kann durch den Leistungsantrag nicht erreicht werden, weil insoweit die Minderung der Miete nur eine nicht in Rechtskraft erwachsende Vorfrage darstellt (BGH, Urteil vom 05. Dezember 2018 – VIII ZR 271/17 –, Rn. 16, juris).
1. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der unter Vorbehalt gezahlten Miete für den Zeitraum Februar bis November 2021 in Höhe der verlangten 2.427,00 € aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 432 BGB. Hiernach ist derjenige zur Herausgabe einer erlangten Leistung (hier der Miete) verpflichtet, der diese ohne rechtlichen Grund erlangt hat.
Die Kläger können sich mit Erfolg auf ein Minderungsrecht berufen. Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist die vereinbarte Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht (vgl. u.a. KG Berlin, Urteil vom 17.09.2020 – 8 U 1006/20 –, Rn. 18, juris; BGH, Urteil vom 29.04.2015 – VIII ZR 197/14 – Rn. 18 m. w. N., juris). Ob und in welchem Umfang der Mieter von der Mietsache überhaupt einen Gebrauch gemacht hat, ist dabei unerheblich (KG Berlin, Urteil vom 15. Mai 2014 – 8 U 12/13 –, Rn. 27, juris). Die Minderung wird deshalb nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Mieter tagsüber aus beruflichen oder sonstigen Gründen abwesend ist (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, 15. Aufl. 2021, BGB § 536 Rn. 140 m.w.N.). Das Minderungsrecht ist nicht aufgrund § 15 Nr. 3 des Mietvertrages ausgeschlossen. Die Regelung, die dem Mieter im Falle von Instandsetzungs- oder sonstigen Bauarbeiten, sämtliche Rechte abspricht, ist für ihn nachteilig und damit gemäß § 536 Abs. 4 BGB unwirksam.
Eine erhebliche Beeinträchtigung wegen der umfassenden Bauarbeiten, der Einrüstung und auch wegen der Wasser- und Putzschäden in der Wohnung steht außer Frage. Die Beklagte hat weder das Lärmprotokoll noch das Vorhandensein der Mängel in der Wohnung substantiiert angegriffen.
Die Beklagte hat die volle Miete insoweit teilweise ohne rechtlichen Grund erlangt. Sie hatte als Veranlasserin der Bauarbeiten Kenntnis von einhergehenden Gebrauchsbeeinträchtigungen. Zudem sind die Kläger ihrer Anzeigepflicht aus § 536c BGB in ausreichendem Maße nachgekommen. Sie haben die Beeinträchtigungen angezeigt, ein Minderungsrecht geltend gemacht sowie die Miete nur noch unter Vorbehalt gezahlt.
Für den geltend gemachten Zeitraum von 10 Monaten für den Zahlungsantrag steht den Klägern das Minderungsrecht in der geltend gemachten Höhe von 30% der monatlichen Bruttomiete, 242,70 €/monatlich zu. Die Minderung soll die von den Vertragsparteien festgelegte Gleichwertigkeit zwischen den beiderseitigen Leistungen bei einer Störung auf der Vermieterseite wiederherstellen. Welche Herabsetzung der Miete angemessen ist, richtet sich nach der Schwere des Mangels und der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit der vermieteten Sache (KG Berlin, Urteil vom 15. Mai 2014 – 8 U 12/13 –, Rn. 29, juris). Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits die Stellung eines Gerüsts (u.a. wegen erhöhter Einbruchsgefahr und Sichtbeeinträchtigung) zu einer Minderung berechtigen kann (vgl. u.a. LG Berlin, Urteil vom 07. Mai 2013 – 63 S 387/12 –, Rn. 27, juris). Wird dieses noch mit einer Plane oder einem Netz versehen, so erhöht sich die Minderungsquote wegen verstärkter Sichtbeeinträchtigung, Lüftungsmangel und/oder Verschattung entsprechend (vgl. u.a. Schmidt-Futterer, a.a.O., § 536, Rn. 140, 154 m.w.N.). Die Minderungsquoten variieren hier zwischen 3% für das Gerüst als solches bis zu 15% mit Plane oder verklebten Fenstern und steigen auf über 20% und bis zu 50%, wenn noch Lärm durch Bauarbeiten hinzukommt (vgl. u.a. AG Wedding, Urteil vom 26. November 2018 – 22d C 147/18 –, Rn. 22, juris; AG Ibbenbüren WuM 2007, 405; AG Hamburg, WuM 1996, 30; AG Wiesbaden, WuM 2012, 439; AG Weißwasser, WuM 1994, 601). Umfangreiche Bauarbeiten im Haus bei erheblichen Lärm- und Schmutzbeeinträchtigungen können bis zu einer 100%igen Mietminderung führen. Da sich bei Großbaustellen bzw. umfangreichen Baumaßnahmen der Lärmpegel über mehrere Monate hinweg täglich verändert, kann es gerechtfertigt sein, über den gesamten Zeitraum eine pauschalierte Minderungsquote anzusetzen (Schmidt-Futterer, a.a.O., § 536, Rn. 138ff.).
Wie das Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, bestehen unter Berücksichtigung des im Januar 2021 aufgestellten Gerüsts, den durchgeführten Baumaßnahmen und den eingereichten Fotos sowie den nunmehr im Lärmprotokoll mitgeteilten Beeinträchtigungen überhaupt keine Bedenken daran, dass die von den Klägern angesetzte Minderungsquote und damit die Zahlungsforderung berechtigt ist.
Der Zinsanspruch war dahingehend auszulegen, dass die Kläger den gesetzlichen Zinssatz begehren. Er folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB; der klageändernde Schriftsatz ist am 06.12.2021 zugestellt worden.
2. Für den Zeitraum ab Dezember 2021, für den die Feststellung der Minderung begehrt wird, bestehen mangels anderweitigem Vortrag der Beklagten grundsätzlich ebenfalls keine Bedenken an der Fortschreibung der Minderungsquote. Insbesondere hat die Beklagte trotz gerichtlicher Aufforderung vom 26.11.2021 keinen Bauablaufplan eingereicht.
Allerdings war hinsichtlich des Minderungsanspruchs zwischen den einzelnen Mängeln bzw. Beeinträchtigungen zu differenzieren. Denn die Abstellung eines Mangels führt auch zur eine Reduzierung der Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs. Hinsichtlich der Mängel in der Wohnung hat das Gericht den Klageantrag dahingehend ausgelegt, dass die Kläger alle Mängel im Deckenbereich meinen. Denn nach § 308 ZPO entscheidend kann nicht der bloße Wortlaut eines Antrages sein, sondern der durch ihn und die Klagebegründung verkörperte Wille (MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 308 Rn. 6). Dabei ist das Gericht der Auffassung, dass es sich bei den Rissen (ursprünglicher Klageantrag zu 1a) und 1b)) lediglich um optische Mängel handelt, die zwar instandzusetzen sind, aber den vertragsgemäßen Gebrauch nicht erheblich beeinträchtigen.
Insoweit hält das Gericht folgende Minderungsquoten – auch unter Berücksichtigung des Baufortschritts – als untere Grenze für berechtigt:
- Dachgeschossausbau 12%
- Gerüst, einschließlich verklebter Fenster (je 5%) 10%
- Wasserschaden und große Putzschäden in der Wohnung (Decke) 8%.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Der Streitwert war nach der Klageänderung um den Zahlungsantrag zu erhöhen und auf insgesamt bis 16.000,00 € festzusetzen. Im Übrigen wird auf den Festsetzungsbeschluss vom 06.08.2021 Bezug genommen.