Streit um Aufzugsanlage: Stilllegung oder bauliche Veränderung?
Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe bestätigt, dass die Ablehnung der Instandsetzung einer Aufzugsanlage in einer Wohnungseigentümergemeinschaft keine bauliche Veränderung darstellt und daher nicht einstimmig beschlossen werden muss. Die Entscheidung basiert auf der Interpretation, dass die faktische Stilllegung durch Unterlassen der Instandsetzung die Substanz des Gemeinschaftseigentums nicht verändert und daher im Ermessensspielraum der Eigentümergemeinschaft liegt.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Ablehnung der Instandsetzung: Die Eigentümergemeinschaft darf die Instandsetzung einer Aufzugsanlage ablehnen, ohne dass dies als bauliche Veränderung gilt.
- Gemeinschaftseigentum: Der Aufzug ist Teil des Gemeinschaftseigentums, und seine Instandhaltung obliegt grundsätzlich der Eigentümergemeinschaft.
- Ermessensspielraum: Die Wohnungseigentümer haben einen weiten Ermessensspielraum bezüglich der Instandsetzungsmaßnahmen.
- Faktische Stilllegung: Die Nichtinstandsetzung des Aufzugs stellt eine „faktische Stilllegung“ dar, beeinträchtigt aber nicht die Substanz des Gemeinschaftseigentums.
- Teilungserklärung: Die Teilungserklärung schreibt nicht explizit die dauerhafte Vorhandenheit oder Funktionsfähigkeit des Aufzugs vor.
- Keine grundlegende Umgestaltung: Die faktische Stilllegung des Aufzugs führt nicht zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage.
- Kosten und Nutzen: Die Eigentümergemeinschaft darf Kosten und Nutzen der Instandsetzung abwägen und nicht zwingend erforderliche Maßnahmen zurückstellen.
- Anspruch der Kläger: Der Anspruch der Kläger auf Instandsetzung und Wiederinbetriebnahme der Aufzugsanlage wird verneint.
Übersicht
Die rechtliche Einordnung der Instandsetzung von Gemeinschaftseigentum
Die Verwaltung und Instandhaltung von Gemeinschaftseigentum in einer Wohnungseigentümergemeinschaft stellt ein zentrales Thema im deutschen Miet- und Wohneigentumsrecht dar. Insbesondere die Frage, inwieweit die Entscheidungen über Instandsetzungsmaßnahmen, wie beispielsweise einer Aufzugsanlage, als bauliche Veränderungen zu werten sind, ist von hoher Relevanz. Diese Thematik betrifft nicht nur die rechtlichen Aspekte der Beschlussfassung innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern berührt auch die finanzielle Verantwortung, die auf den Schultern der Eigentümer liegt. Die Klärung, ob eine Maßnahme als reine Instandsetzung oder als bauliche Veränderung anzusehen ist, hat weitreichende Konsequenzen für die erforderliche Mehrheit bei Beschlüssen und die Tragung der anfallenden Kosten.
Die nachfolgenden Ausführungen widmen sich einem konkreten Urteil des Landgerichts Karlsruhe, das diese Thematik aufgreift und richtungsweisende Entscheidungen trifft. Die Ausführungen bieten tiefe Einblicke in die juristischen Feinheiten und beleuchten die praktischen Konsequenzen für Wohnungseigentümergemeinschaften. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie das Gericht in diesem spezifischen Fall geurteilt hat und welche Auswirkungen dies auf ähnliche Fälle in der Zukunft haben könnte.
Konflikt um Aufzugsanlage in Wohnungseigentümergemeinschaft eskaliert
Im Zentrum des juristischen Disputs steht die Wohnungseigentümergemeinschaft W., bestehend aus den Wohnhäusern A, B und C. Besondere Aufmerksamkeit erlangte der Fall durch die Auseinandersetzung um die Instandsetzung einer Aufzugsanlage im Haus B. Diese Anlage, installiert im Jahr 1979, diente dem Transport zwischen den Etagen, bot jedoch keinen barrierefreien Zugang zu den Wohnungen. Im Laufe der Jahre wurde die Anlage mehrmals Gegenstand von Streitigkeiten, was schließlich zu verschiedenen Vereinbarungen über die Nutzung und Kostenaufteilung führte.
Rechtliche Auseinandersetzung und gerichtliche Entscheidung
Die Kläger, Eigentümer der Wohnungseigentumseinheit Nr. 14 in Haus B, erhoben eine Verpflichtungsklage, nachdem ein Mehrheitsbeschluss der Eigentümerversammlung die Instandhaltung der Aufzugsanlage ablehnte. Sie argumentierten, dass die Nicht-Instandsetzung einer faktischen Stilllegung der Aufzugsanlage gleichkäme und somit eine bauliche Veränderung darstelle, die nur einstimmig beschlossen werden könne. Das Amtsgericht Villingen-Schwenningen wies die Klage ab, woraufhin die Kläger Berufung beim Landgericht Karlsruhe einlegten.
Urteilsbegründung des Landgerichts Karlsruhe
Das Landgericht Karlsruhe bekräftigte die Entscheidung des Amtsgerichts. Es stellte fest, dass der angefochtene Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft, die Instandsetzung der Aufzugsanlage abzulehnen, nicht nichtig sei. Es handele sich nicht um eine bauliche Veränderung, die einer Einstimmigkeit bedürfe. Die faktische Stilllegung durch Unterlassung der Instandsetzung greife nicht in die Substanz des Gemeinschaftseigentums ein und führe lediglich zu einem vorübergehenden Gebrauchsausschluss. Ferner sei die Existenz einer funktionierenden Aufzugsanlage nicht durch die Teilungserklärung vorgeschrieben.
Kostenentscheidung und Vorläufige Vollstreckbarkeit
Die Kosten des Berufungsverfahrens wurden den Klägern auferlegt. Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe ist vorläufig vollstreckbar, ebenso wie das zuvor genannte Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, da keine grundsätzliche Bedeutung für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung besteht.
Abschließend lässt sich festhalten, dass dieses Urteil einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der rechtlichen Einordnung von Instandsetzungsmaßnahmen im Kontext von Wohnungseigentümergemeinschaften leistet. Es verdeutlicht, dass die Nicht-Instandsetzung einer Anlage nicht automatisch als bauliche Veränderung gewertet wird, was bedeutende Implikationen für ähnliche Fälle in Zukunft haben könnte.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was qualifiziert eine Maßnahme als „bauliche Veränderung“ im Kontext einer Wohnungseigentümergemeinschaft?
Eine bauliche Veränderung im Kontext einer Wohnungseigentümergemeinschaft in Deutschland ist eine Maßnahme, die über die ordnungsgemäße Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht. Sie beinhaltet jede auf Dauer angelegte gegenständliche Umgestaltung des gemeinschaftlichen Eigentums, die vom früheren ordnungsgemäßen Zustand des Gebäudes abweicht und nicht als ordnungsgemäße Instandhaltung/Instandsetzung anzusehen ist.
Bauliche Veränderungen können sowohl innerhalb als auch außerhalb von Gebäuden stattfinden und Um- oder Anbauten, Aufstockungen oder Erweiterungen von Gebäuden umfassen. Beispiele für bauliche Veränderungen sind die Errichtung eines Aufzugs, eines Balkons oder die Verglasung des Balkons, fest montierte Blumenkästen, Dachfenster und ähnliche Maßnahmen.
Bauliche Veränderungen bedürfen eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft. Persönlich betroffene Eigentümer müssen bei negativen Auswirkungen auf ihr Nutzungsverhalten/Nutzungsrecht diesem Beschluss zustimmen. Andernfalls besteht ein Anfechtungsrisiko.
Es gibt jedoch Einschränkungen für bauliche Veränderungen. Nach § 20 Abs. 4 WEG dürfen bauliche Veränderungen nicht beschlossen und können nicht verlangt werden, wenn sie zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führen oder einzelne Wohnungseigentümer gegenüber anderen unbillig benachteiligen.
Die Kosten für bauliche Veränderungen werden in der Regel von den Eigentümern getragen, die der Maßnahme zugestimmt haben. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen alle Mitglieder der Eigentümergemeinschaft verpflichtet sind, ihren Kostenanteil zu übernehmen.
Es ist zu erwähnen, dass die Definition und die Regeln für bauliche Veränderungen im Wohnungseigentumsgesetz (WEG) festgelegt sind und dass es spezielle Regelungen in der Teilungserklärung oder in Vereinbarungen der Wohnungseigentümer geben kann.
Das vorliegende Urteil
LG Karlsruhe – Az.: 11 S 167/20 – Urteil vom 01.09.2023
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 09.11.2020, Az. 11 C 84/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft W. Sie streiten über die Durchführung erforderlicher Instandhaltungs- / Instandsetzungsmaßnahmen zur Wiederinbetriebnahme einer im Gemeinschaftseigentum stehenden, im Hause B befindlichen, Aufzugsanlage.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft besteht aus drei Wohnhäusern, den Häusern A, B und C. Die Kläger sind Eigentümer der Wohnungseigentumseinheit Nr. 14 im Wohnhaus B und an einem Betrieb der Aufzugsanlage interessiert. Die Aufzugsanlage wurde bei Errichtung des Gebäudes und Aufteilung in Wohnungseigentum im Jahr 1979 im Bereich des Gemeinschaftseigentums des Hauses B installiert und ermöglicht das Fahren zwischen den Etagen, nicht jedoch den barrierefreien Zugang zu den Wohnungseigentumseinheiten. Um zu dem Aufzug zu gelangen, müssen mindestens 15 Treppenstufen (vgl. Lichtbilder AS I 89 ff.) überwunden werden. Die beiden anderen Häuser verfügen über keinen Aufzug.
Die Aufzugsanlage wurde bei Errichtung des Gebäudes auf Betreiben der Eheleute E., vormals Eigentümer der im Haus B befindlichen Wohnungseigentumseinheit Nr. 14, eingebaut. In der Folge waren die Aufzugsanlage und die mit ihrem Betrieb verbundenen Kosten mehrfach Gegenstand von Streitigkeiten zwischen den Wohnungseigentümern und es wurden verschiedene Vereinbarungen hierzu getroffen.
Die Teilungserklärung enthält unter IV. 2. c) folgende Regelung:
„Die zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer bestimmten Räume und Einrichtungen, z.B. Treppen und Flur außerhalb der Wohnungstür, Personenaufzug, Waschküche, Trockenraum (soweit vorhanden) werden von den Wohnungseigentümern gemeinsam benutzt.“
Am 10.12.1981 hatten die Wohnungseigentümer eine Vereinbarung über die Nutzung und Kostenaufteilung hinsichtlich des Aufzugs getroffen, die am 01.02.1982 dergestalt abgeändert wurde, dass das Ehepaar E. den Aufzug nutzen und betreiben darf und hierfür sämtliche anfallenden Kosten zu tragen hat. Die Aufzugsanlage war sodann von 1982 bis 1987 in Betrieb. Zwischen 1987 bis 2007 wurde sie nicht betrieben.
Ab 2007 wurde sie bis zur Sanierungsbedürftigkeit 2019 wieder in Betrieb genommen. Auf Basis eines Beschlusses der Eigentümerversammlung vom 18.04.2007 wurden die Kosten des laufenden Betriebs sowie der Instandhaltung der Aufzugsanlage einschließlich Wartung, Strom und Reparaturen nach einer Vereinbarung der Parteien anteilig je nach Belegenheit ihrer Wohneinheit prozentual aufgeteilt. Dieser Umlageschlüssel wurde zwischen den Parteien des Rechtsstreits im Verfahren … C …/17 des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen durch gerichtlichen Vergleich vom 19.04.2018 ausdrücklich bestätigt. Der Vergleich hat in § 1 folgenden Wortlaut:
„Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Kostenverteilung hinsichtlich der Aufzugsanlage, welche in dem Protokoll der Eigentümerversammlung vom 23.11.2017 festgehalten worden ist, keinen Bestand hat. Die Kostenverteilung erfolgt nach dem früheren Beschluss der Eigentümerversammlung, welche im Protokoll vom 18.04.2007 unter Ziffer 3 festgehalten ist (…).“
In dem Beschluss der Eigentümerversammlung vom 18.04.2007 ist folgende Regelung enthalten:
„3. Sobald die Aufzugsanlage im Vollbetrieb sein wird, stellt sich die Frage der Tragung der Betriebskosten und laufenden Instandhaltung (Wartung + Strom + künftige Reparaturkosten). Nach heftiger Diskussion kristallisiert sich ein Vorschlag heraus, der eine Kostenregelung nach der mutmaßlichen Nutzung der einzelnen Wohnungen herbeiführen soll. Danach sollen die oberen Wohnungen stärker belastet werden, als die unteren Wohnungen. Es wird folgender Vorschlag unterbreitet:
Wohnung Nr. 18 Eheleute E. 40 %
Wohnung Nr. 15 Herr F. 15 %
Wohnung Nr. 14 Familie G. 15 %
Wohnung Nr. 10 Frau H. 10 %
Wohnung Nr. 9 Frau I. 10 %
Wohnung Nr. 4 Herr J. 5 %
Wohnung Nr. 3 Familie K. 5 %.“
Die Aufzugsanlage ist derzeit grundlegend sanierungsbedürftig. Bei einer Prüfung der Anlage durch einen Sachverständigen am 25.04.2019 wurden sicherheitsgefährdende Mängel festgestellt. Mit Schreiben vom 15.10.2019 hat das zuständige Landratsamt … die Wohnungseigentümergemeinschaft aufgefordert, die sicherheitsgefährdenden Mängel bis spätestens 13.11.2019 zu beseitigen. Bevor diese Mängel nicht beseitigt sind, darf die Aufzugsanlage nicht (wieder) in Betrieb genommen werden. Die Firma S. hat die voraussichtlichen Kosten im Jahr 2019 je nach Umfang der Maßnahmen mit einem Kostenrahmen von 45.220,- Euro (Teilsanierung, Auskunft vom 24.09.2019) bis 54.621,- Euro (Angebot vom 14.08.2019) beziffert.
Am 17.02.2020 fassten die Eigentümer folgenden Beschluss über den Antrag der Kläger:
„Instandsetzung der Aufzugsanlage und Beauftragung der Fa. S.
Ergebnis: 13 nein, 1 ja
Die Eigentümergemeinschaft lehnt damit mehrheitlich die Instandhaltung der Aufzugsanlage ab.“
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.03.2020, beim Amtsgericht am selben Tag eingegangen, haben die Kläger den Beschluss angefochten und zugleich Verpflichtungsklage auf Instandsetzung und Wiederinbetriebnahme der Aufzugsanlage erhoben.
Die Kläger haben zur Begründung vorgetragen, die Ablehnung der Instandsetzung führe zu einer faktischen Stilllegung der Aufzugsanlage. Dies stelle eine bauliche Veränderung dar, die nur einstimmig beschlossen werden könne. Die ablehnende Beschlussfassung entspreche auch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
Aufgrund der behördlichen Stilllegung der Anlage sei das Ermessen der Wohnungseigentümergemeinschaft hinsichtlich der Instandsetzung auf Null reduziert.
Die Kläger haben beantragt:
1. Der Beschluss der außerordentlichen Wohnungseigentümerversammlung der Beklagten vom 17.02.2020 – Instandsetzung der Aufzugsanlage und Beauftragung der Fa. S. – wird für unwirksam erklärt.
2. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner die Aufzugsanlage S. im Anwesen W. auf Basis der Angebote der Firma S. vom 14.08. und 24.09.2019 instand zu setzen und wieder in Betrieb zu nehmen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben vorgetragen, der angefochtene Beschluss vom 17.02.2020 beinhalte keine bauliche Veränderung. Es werde nicht in die Substanz des Gemeinschaftseigentums eingegriffen und keine auf Dauer angelegte gegenständliche Veränderung vorgenommen. Der Beschluss betreffe die Entscheidung über eine Instandsetzungsmaßnahme und sei einer Mehrheitsentscheidung zugänglich. Er entspreche auch ordnungsgemäßer Verwaltung. Hinsichtlich der Entscheidung, ob und wie die Wohnungseigentümer Instandsetzungsmaßnahmen beschließen, komme diesen ein weiter Ermessensspielraum zu. Hierbei seien sie berechtigt, Kosten und Nutzen einer Maßnahme abzuwägen und nicht zwingend erforderliche Maßnahmen zurückzustellen. Es sei auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit und die Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft zu berücksichtigen. Hier sei auch zu beachten, dass es sich bei dem Aufzugsbetrieb stets um einen „Notbetrieb“ gehandelt habe, der in Anbetracht der baulichen Situation nur einen beschränkten, zu den Kosten völlig außer Relation stehenden Nutzen bringe. Ein Anspruch auf Auftragsvergabe an die Firma S. bestehe auch deshalb nicht, da keine Vergleichsangebote zur Prüfung eingeholt worden seien. Soweit ein Aufzug in der Teilungserklärung erwähnt sei, handele es sich um eine reine Gebrauchsregelung. Die Teilungserklärung sehe weder die Existenz noch die Funktionsfähigkeit eines Aufzugs vor.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 09.11.2020, den Klägern zugestellt am 12.11.2020, abgewiesen. Das Amtsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Eigentümergemeinschaft habe die Instandsetzung der Aufzugsanlage mehrheitlich ablehnen dürfen, da es sich um die Entscheidung über eine Maßnahme der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums handele und nicht um eine – Einstimmigkeit erfordernde – bauliche Veränderung. Mit der faktischen Stilllegung der Aufzugsanlage gehe keine gegenständliche Veränderung der Anlage oder optische Beeinträchtigung einher. Das – dauerhafte – Vorhandensein einer funktionsfähigen Aufzugsanlage sei nicht in der Teilungserklärung, die nur den – nachgelagerten – Gebrauch regele, vorgesehen. Der angefochtene Beschluss halte sich im Rahmen des den Eigentümern zustehenden weiten Gestaltungsspielraums. Ein Anspruch der Kläger auf die konkrete, mehrheitlich abgelehnte Beschlussfassung bestehe nicht.
Hiergegen richtet sich die am 01.12.2020 beim Landgericht eingelegte und mit gleichem Schriftsatz begründete Berufung der Kläger.
Die Kläger tragen vor, der angefochtene Beschluss greife in den Kerngehalt des Wohnungseigentums und des Mitbenutzungsrechts der Kläger ein. Jedenfalls hinsichtlich des „Ob“ einer Instandsetzung sei das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert, hinsichtlich des „Wie“ bestehe jedenfalls ein Anspruch auf die Durchführung der vermeintlich geringfügig kostengünstigeren Alternative vom 24.09.2019.
Die Kläger beantragen:
1. Das Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen 11 C 84/20 vom 09.11.2020 wird aufgehoben.
2. Der Beschluss der außerordentlichen Wohnungseigentümerversammlung der WEG W. vom 17.02.2020 – Instandsetzung der Aufzugsanlage und Beauftragung der Firma S. – wird für unwirksam erklärt.
3. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner die Aufzugsanlage S. im Anwesen W. auf Basis der Angebote der Firma S. vom 14.08.2019 sowie 24.09.2019 instand zu setzen und wieder in Betrieb zu nehmen.
4. Hilfsweise zu 3.: Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Villingen-Schwenningen zurückverwiesen.
Die Beklagten beantragen, die Zurückweisung der Berufung.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der angefochtene Negativbeschluss ist weder nichtig noch für ungültig zu erklären, noch besteht ein Anspruch der Kläger auf die Instandsetzung und Wiederinbetriebnahme der Aufzugsanlage S. auf Basis der Angebote der Firma S. vom 14.08.2019 sowie 24.09.2019 durch die Gemeinschaft.
1. Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden (§§ 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 517, 519 Abs. 1, Abs. 2, 520 Abs. 1 bis 3 ZPO). Das für die Anfechtung des Negativbeschlusses erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich aus der möglichen Verletzung des Rechts der Kläger auf ordnungsgemäße Verwaltung gemäß § 18 Abs. 2 WEG (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2015 – V ZR 5/15, Rn. 8 m.w.N.).
2. Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet.
Der angefochtene Negativbeschluss ist nicht nichtig (hierzu a) (1)). Er ist auch nicht für ungültig zu erklären (hierzu a) (2)). Ein Anspruch auf die begehrte Verpflichtung besteht nicht (hierzu b)).
a) Es hat keine Auswirkung, dass die vorliegende Beschlussklage gegen die übrigen Eigentümer der Wohnungseigentümergemeinschaft gerichtet ist (§ 46 Abs. 1 WEG a.F.).
Für Beschlussanfechtungsklagen (Antrag Ziff. 1 gemäß der Klageschrift) betreffend sog. „Altbeschlüsse“, zu denen auch der hier zu prüfende Beschluss gehört, ist sowohl materiell-rechtlich als auch verfahrensrechtlich weiterhin das WEG in der vor dem 01.12.2020 geltenden Fassung anwendbar (vgl. § 48 WEG n.F.).
(1) Der angefochtene Beschluss vom 17.02.2020, mit dem die Instandsetzung des Aufzugs auf Grundlage der Angebote der Firma S. abgelehnt wird, hält sich innerhalb der Beschlusskompetenz der Gemeinschaft und ist nicht nichtig. Es handelt sich nicht um eine der Mehrheitsherrschaft jedenfalls nach altem Recht grundsätzlich entzogene bauliche Veränderung (§ 22 WEG a.F.). Eine solche wäre gegeben, wenn durch die Beschlussfassung und ihre Umsetzung das Gemeinschaftseigentum umgestaltet würde. Dies ist in der Regel der Fall, wenn in seine Substanz eingegriffen und eine auf Dauer angelegte gegenständliche Veränderung seiner realen Teile vorgenommen wird (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 30.06.2003 – 20 W 254/01).
Der streitgegenständliche Aufzug gehört – ungeachtet seiner individuellen Nutzungs- und Instandhaltungshistorie – zum Gemeinschaftseigentum, so dass seine Instandhaltung und Instandsetzung grundsätzlich der Gemeinschaft obliegt. Er wird jedoch – auch wenn hierdurch faktisch eine Stilllegung eingetreten ist – durch die Ablehnung der Instandsetzung nicht in seiner Substanz betroffen, sondern kann – jederzeit, sobald sich die Eigentümergemeinschaft hierzu entschließt – wieder repariert und in Betrieb genommen werden. Hierdurch unterscheidet sich die „faktische Stilllegung durch Nichtstun“ sowohl vom erstmaligen Einbau als auch von der Entfernung (Ausbau) einer Aufzugsanlage. Letztere greift in die Substanz des Gemeinschaftseigentums ein und verändert dieses tatsächlich, während die „faktische Stilllegung“ lediglich zu einem – ggf. vorübergehenden – allgemeinen, sämtliche Wohnungseigentümer gleichermaßen treffenden – Gebrauchsausschluss führt.
Das Vorhandensein einer funktionsfähigen Aufzugsanlage ist vorliegend auch nicht durch die Teilungserklärung vorgeschrieben. Die Teilungserklärung erwähnt einen Aufzug lediglich unter der Überschrift „2. Gebrauchsregelung“ unter dem Unterpunkt c) und ordnet an: „Die zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer bestimmten Räume und Einrichtungen, z.B. Treppen und Flur außerhalb der Wohnungstüre, Personenaufzug, Waschküche, Trockenraum (soweit vorhanden) werden von den Wohnungseigentümern gemeinsam benützt.“ Diese Regelung bestimmt nicht, welche Räume und Einrichtungen zum gemeinschaftlichen Gebrauch zu errichten und instand zu halten sind, sondern lediglich, dass alle zu diesem Zweck vorhandenen Anlagen, von denen einige mögliche beispielsweise genannt werden, durch die Wohnungseigentümer gemeinsam benützt werden. Die weitere Einschränkung „(soweit vorhanden)“ garantiert den Wohnungseigentümern auch nur den – gemeinsamen – Gebrauch vorhandener Anlagen, verhält sich aber nicht zu der Frage, ob zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Einrichtungen und Anlagen dauerhaft vorhanden sein müssen oder in ihrem Bestand der Disposition der Wohnungseigentümergemeinschaft unterliegen.
Die „faktische Stilllegung“ der Aufzugsanlage durch die – zumindest derzeit – nicht veranlasste Instandsetzung führt auch nicht dazu, dass das Sondereigentum der Kläger nicht mehr zu dem von der Gemeinschaftsordnung vorgesehenen Zweck, dem Wohnen, genutzt werden kann oder die Nutzung des Sondereigentums zu dem vereinbarten Zweck erheblich beeinträchtigt wird, also in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingegriffen wird (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 15.10.2021 – V ZR 225/20, Rn. 20 m.w.N.). Die Kläger können – wie auch die anderen Wohnungseigentümer – ihre Wohnungseigentumseinheit weiter über das Treppenhaus erreichen. Es handelt sich vorliegend insbesondere nicht um eine Eigentümergemeinschaft, bei der – wie beispielsweise einer Wohnanlage zum „betreuten Wohnen“ – erhöhte Anforderungen an die Barrierefreiheit zum Kernbereich des Wohnungseigentums gehören. Vielmehr stellt die Aufzugsanlage in Haus B eine Besonderheit dar, die nicht für die gesamte Anlage charakteristisch ist und deren Wegfall – insbesondere durch „faktische Stilllegung“ – nicht zu einer grundlegenden Umgestaltung der Wohnanlage führt, sondern vielmehr zu einer – faktischen – Vereinheitlichung.
(2) Der angefochtene Beschluss ist auch nicht für ungültig zu erklären. Die Ablehnung der durch die Kläger begehrten Beschlussfassung widerspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. Das Ermessen der Wohnungseigentümergemeinschaft war hinsichtlich der beantragten Beschlussfassung nicht in der Weise auf Null reduziert, dass nur die Instandsetzung der Aufzugsanlage und Beauftragung der Firma S. ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen hätte.
Gemäß dem mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG n.F. im Wesentlichen inhaltsgleichen § 21 Abs. 3 WEG a.F kann jeder Wohnungseigentümer von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, die dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Die Anfechtung eines Negativbeschlusses ist daher erfolgreich, wenn die ablehnende Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht, mithin das Ermessen der Wohnungseigentümer hinsichtlich des begehrten Beschlussinhalts auf Null reduziert ist. Im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung steht den Wohnungseigentümern hinsichtlich der zur Wahl stehenden Maßnahmen ein nicht kleinlicher Ermessensspielraum zu, der sowohl die Entschließung („ob“) und die Organisation von Maßnahmen, als auch die inhaltliche Ausgestaltung betrifft („wie“). Dieser großzügige Ermessensspielraum ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar (vgl. LG München I, Beschluss vom 04.07.2019 – 36 S 1362/18 WEG; Kammer, Urteil vom 20.10.2020, 11 S 117/18) und vorliegend jedenfalls nicht auf die Fassung des zur Abstimmung gestellten Beschlusses reduziert.
Selbst wenn man unterstellt, dass eine Einholung von Vergleichsangeboten aufgrund der Monopolsituation hinsichtlich der Instandsetzung installierter Aufzugsanlagen für die reine Instandsetzung nicht zwingend erforderlich war, bestand sowohl hinsichtlich der Frage, ob überhaupt instand gesetzt wird als auch hinsichtlich der Frage, durch wen, wann und in welcher Weise und ob ggf. ein Austausch der Anlage über einen anderen Anbieter vorgenommen werden soll, jeweils ein weiter Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum der Eigentümer.
b) Für die Verpflichtungsklage sowie die Beschlussersetzung ist verfahrensrechtlich weiterhin das WEG in der vor dem 01.12.2020 geltenden Fassung maßgeblich (vgl. § 48 Abs. 5 WEG n.F.; BGH, Urteil vom 25.02.2022, V ZR 65/21). Da es bei Leistungsklagen bzw. verhaltensbezogenen Normen und Beschlussersetzungsklagen i.d.R. auf den Rechtszustand zum Schluss der letzten mündlichen (Tatsachen-) Verhandlung ankommt, ist für Verfahren, die (sei es auch nur in zweiter Instanz) über den Stichtag der WEG-Novelle hinaus weitergeführt werden, mithin neues materielles Recht maßgeblich (vgl. auch LG Frankfurt/Main, Urteil vom 11.02.2021 – 2/13 S 46/20; LG Karlsruhe, Beschluss vom 12.09.2022 – 11 T 17/22 -, Rn. 10 – 11; Drasdo, NJW-Spezial 2022, 231).
Dem hier gestellten Verpflichtungsantrag kann bereits aufgrund mangelnder Bestimmtheit nicht entsprochen werden. Der Antrag nimmt beide Angebote der Firma S. in Bezug, stellt aber nicht – etwa im Sinne eines Haupt-und Hilfsbegehrens – klar, welches Angebot in erster Linie beauftragt werden soll, also ob bevorzugt eine Instandsetzung der vorhandenen Anlage oder eine Erneuerung der Anlage erstrebt wird. Im Ergebnis blieben jedoch beide möglichen Verpflichtungsanträge ohne Erfolg, da kein Anspruch auf die begehrte Instandsetzung durch die Eigentümergemeinschaft besteht (s.o.). Gleiches gilt, soweit der Antrag als Beschlussersetzungsantrag verstanden werden soll.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.